Gründerzeit 1870 bis 1910
Politik 1870 bis 1895:
Die französische Armee wird besiegt, das Land gedemütigt. Gründung des Deutschen Kaiserreichs, Kaiserkrönung in Versailles,
Bismarck, ein Hasser der Demokratie, aber hervorragender Diplomat, wird Reichskanzler.
Mit der Einrichtung von afrikanischen "Schutzgebieten" beginnt der Einstieg Deutschlands in den Imperialismus.
In Preußen wird die Zivilehe mit Scheidungsrecht eingeführt und alle Schulen unter staatliche Aufsicht gestellt.
Das Mutterschutzgesetz garantiert nach der Entbindung 3 freie Tage, die obligatorische Krankenversicherung und Altersversorgung für Arbeiter wird eingeführt.
(Revolution von oben, um stärkeren Veränderungen vorzubeugen)
Kultur 1870 bis 1895:
Uraufführung der Oper "Lohengrin" von Richard Wagner. Tschaikowski schreibt das Ballett "Der Nussknacker", Johannes Brahms und Smetana schreiben ihre Werke.
Mark Twain schreibt seine Romane, schwärmt von Heidelberg und macht sich über die Ritter-Hype und die Bergexpeditionen in den Alpen lustig.
Konrad Duden schafft die Grundlage einheitlicher Rechtschreibung in Deutschland. Friedrich Nietzsches schreibt "Also sprach Zarathustra", Karl May veröffentlicht erste Romane.
Karl Spitzweg malt den "Bücherwurm, Heinrich Zille zeichnet sein "Milljöh".
Erste gemeinsame Ausstellung der Impressionisten, die ihre Bilder in freier Natur malen, nicht mehr im Atelier.
Vincent van Gogh malt seine Bilder, die starken Einfluss auf den Expressionismus haben.
Auguste Renoir und Andere beenden den steril gewordenen Klassizismus, es entstehen lebendige, ausdrucksstarke Plastiken.
Ausgrabungen in Troja, Olympia, Aegypten und Pergamon. Einige der Kunstschätze eignen sich die Nationen an, von denen die Ausgrabungen finanziert werden.
Architektur 1870 bis 1895:
In Paris werden der Eiffelturm zur Weltausstellung, die neo-Barocke Pariser Oper und Sacre Coer gebaut.
In London entsteht die Neugotische Tower Bridge mit ihrem Hebemechanismus für die Klappbrücke.
Die überdachte Galleria Vittorio Emanuelle II in Mailand lädt zum Flanieren und Einkaufen, in Rom entsteht das gleichnamige Nationaldenkmal.
In Wien entsteht die (neo-) gotischste aller Kirchen, die Votivkirche.
Auch die Vollendung des Kölner Doms und des Ulmer Münsters fallen in diese Zeit, sowie die Einweihung der Frankfurter Oper.
Die ersten Wolkenkratzer streben in den Himmel. Stahlbeton eröffnet neue Gestaltungsmöglichkeiten.
Kaufhäuser werden, um Kunden anzulocken, zu wahren Palästen, Wohnhäuser erhalten außen Erker und innen "Trinkstübchen".
Viele Bahnhöfe in Deutschland werden im wilhelminischen Stil gebaut.
Um den steigenden Wasserbedarf zu bewältigen werden vermehrt Wassertürme gebaut, zum Beispiel der in Mannheim, heute umgeben von einer der größten Jugendstilanlagen.
Technik und Wissenschaft 1870 bis 1895:
Das Telefon wird erfunden, erste Glühlampen erhellen die Welt, die Registrierkasse erzeugt je Transaktion einen Beleg,
Elektroherd und Reißverschluss vereinfachen das Leben. Erste Filme ermöglichen das Kino zur Unterhaltung. Der Füllfederhalter wird patentiert,
die Spülmaschine wird erfunden (in Deutschland werden aber erst 1929 elektrische Spülmaschinen gefertigt),
der elektrische Wasserkocher wird erfunden. Mit dem Weckglas wird die Konservierung von Lebensmitteln vereinfacht, "endlich schmeckt nicht mehr alles nach (Konservier-)Salz".
Otto baut den ersten brauchbaren Viertakt-Benzinmotor, Carl Benz schafft mit seinem Auto die Grundlage heutiger Mobilität,
Otto Lilienthal baut seine Fluggeräte.
Das Grammophon erobert die Wohnzimmer. Das erste Wasserkraftwerk geht in Betrieb, die Ansichtskarte wird erstmals per Post verschickt.
Die Herstellung von Margarine beginnt, Bakterien werden als Krankheitserreger entdeckt,
die erste elektrische Modelleisenbahn fährt durch die Wohnzimmer.
Charles Darwin veröffentlich "Die Abstammung des Menschen..."
Etwa ab 1880 setzt sich mit der Elektrifizierung der Haushalte das elektrische Licht durch,
die Petroleumlampe bleibt aber in vielen Haushalten noch lange Zeit die übliche Lichtquelle.
Die Haushalte der Städte werden an Gasnetze angeschlossen.
Ab 1870 werden in Städten flächendeckende Trinkwassernetze verlegt, erste Waschkommoden werden an die Leitungen angeschlossen,
ab 1880 werden in noblen Wohnungen WCs und Badewannen fest eingebaut, ab 1890 weichen Porzellanwannen den gusseisernen,
noble Häuser erhalten Zentralheizung.
Gesellschaft 1870 bis 1895:
Levi Strauss schlägt erste Nieten in seine Blue Jeans, der Büstenhalter wird erfunden, setzt sich aber erst ab etwa 1920 durch.
In England werden deutsche Produkte mit dem Aufdruck "made in germany" als angeblich minderwertig gekennzeichnet.
Wegen der Qualität führt dies aber zu Umsatzsteigerungen.
Durch die Industrialisierung, besonders aber durch Reparationszahlungen aus Frankreich, kommt es um 1870 in Deutschland zu einem regelrechten Boom.
Viele heute noch bekannte Firmen werden gegründet, die Einrichtung von Betriebsräten wird in großen Firmen vorgeschrieben.
In bürgerlichen Haushalten steht das Porzellan-Sevice mit Zwiebelmuster, das um 1740 von der Meißener Manufaktur entwickelt wurde.
Gartenzwerge erobern die Vorgärten.
Alfred Krupp zieht 1873 mit seiner Familie in die Villa Hügel mit 269 Räumen auf 8100 m² Wohn- und Nutzfläche.
Bei den Wahlen für den Stadtrat bestimmt Alfred Krupp wegen des Steuerabhängigen Wahlrechts ein drittel des Stadtrats.
Arbeiter leben in überfüllten Einraumwohnungen, größere Wohnungen werden von mehreren Familien belegt, nicht selten teilen sich Arbeiter ein Bett, das im Schichtbetrieb genutzt wird.
Ein eigenes Bett ist schon Statussymbol. In der Mittel- und Unterklasse verfügt jede Person durchschnittlich über 10 m² Wohnraum.
Um der Enge der Wohnung zu entgehen, findet ein Teil des Lebens außerhalb im Hinterhof, auf der Straße, in den kleinen Läden oder in der Kneipe statt.
Werkswohnungen sind oft besser, sind aber an den leicht kündbaren Arbeitsvertrag gebunden und unterliegen einer strengen Kontrolle der Unternehmer.
Der Bezug einer sozialdemokratischen Zeitung genügt als Kündigungsgrund.
In den schlimmsten Kellerwohnungen leben Witwen und verlassene Frauen mit ihren Kindern.
Eine Untersuchung der sozialen Verhältnisse durch einen konservativen Geschäftsmann zeigt,
dass fast ein Drittel der Londoner Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebt.
Wegen der Not ist Kinderarbeit in den unteren Schichten verbreitet, besonders in der Landwirtschaft und in Form von Heimarbeit.
Auch der Begriff "Gelsenkirchener Barock", oft als lakonische Bemerkung gemeint, gehört hierher.
Gelsenkirchen steht für das aufstrebende Ruhrgebiet, in dem sich "einfache Leute" modische Bauten oder Möbel leisten.
Die Mark ersetzt Gulden, Taler, Kreuzer, Heller und Batzen und wird als gesamtdeutsche Währung eingeführt.
Das Kinderlied "Alle meine Entchen" entsteht. Mädchen werden in der Schule ausgiebig mit Handarbeiten "gequält".
Neue Handelsmarken: Hoffmann´s Stärke, Maggi-Würze und Tütensuppen, Knorr-Erbswurst.
Möbel der Gründerzeit:
Mit Hilfe der Arbeitsmaschinen kann die Möbelindustrie komplette Einrichtungen in verschiedenen Qualitäten und Preislagen fertigen.
Die Möbel der Gründerzeit haben kantige Grundformen und reichhaltige, meist renaissance-artige Verzierungen.
So sind Schnecken, oft auslaufend in Leisten mit drei Rillen, Säulen, Pilaster, Kapitelle, Gesimse,
gedrechselte Beine und profilierte Kugelfüße kennzeichnend für diesen Stil.
Wo immer möglich werden Fransen, Quasten und Trotteln angebracht. Das obligatorische Häkeldeckchen schmückt jede ebene Fläche,
Sofaschoner vergraulen den Gästen den Besuch, da sie ständig verrutschen und so den wuchtigen Sofas den letzten Rest an Bequemlichkeit nehmen.
Nicht fehlen dürfen im Wohnzimmer das große Buffet, das Vertiko, und das Allerheiligste der Hausfrau, das Trumeau: ein Spiegel auf einer Konsole.
über dem Ehebett hängt ein frömmliches Bild mit Maria und Engeln, über dem Sofa röhrt ein Hirsch in schwerem Goldrahmen.
Besonders in der Küche und in den Trinkstuben werden gestickte Sinnsprüche als Wandschmuck verwendet.
Unter dem Begriff "Altdeutsch" wurde versucht, einen deutschen Nationalstil zu schaffen.
Aufwändige Zimmertäfelungen und Kassettendecken werden der deutschen und flämischen Renaissance nachgebildet.
Um die entsprechenden Möbel maschinell herstellen zu können, müssen die Entwürfe angepasst werden.
Häufig führt diese Veränderung zu einer eher schwülstigen Interpretation der Renaissance-Vorbilder.
So entstehen Möbel im "Wartburg-" oder "Meistersinger-Stil", gedacht als Fortführung alter, deutscher Traditionen.
Als Holz wird meist Eiche verwendet, für billigere Möbel auch Fichte.
Charakteristisch sind Reliefschnitzerei, gedrehte Säulen und vorgesetzte Pilaster und Kassetten.
Solche Möbel-Entwürfe halten sich bis heute, verkauft in Läden, die meist "Vitrine" oder "Truhe" heißen.
Infolge neuer Herstellungsverfahren gelingt es, Holz unter Dampfeinwirkung dauerhaft zu biegen.
Bei dieser so genannten Bugholztechnik werden Leisten ähnlich wie Sperrholz übereinander gelegt, um dann in einem Leimbad gekocht zu werden.
Spannt man diese in eine starre Form, so behalten sie ihre Gestalt nach Erkalten dauerhaft.
Damit geben sich die Gebrüder Thonet aber nicht zufrieden, sie experimentieren mit Vollholz-Stäben aus Buche.
Dabei gelingt es ihnen , diese durch Einwirkung von Dampf und kochendem Wasser dauerhaft zu verbiegen, ohne dass Risse oder Brüche auftreten.
Diese Erfindung nutzt die Firma Thonet, um Stühle und andere Möbel nach eigenen Entwürfen herzustellen.
Es wurde ein riesiger Erfolg: Der Kaffeehaus-Stuhl (Nr. 14) ist seit 1859 bis heute von Thonet rund 60 Millionen Mal hergestellt worden und sicher genau so oft als Plagiat.
Puppenstuben in der Gründerzeit
Infolge des stark anwachsenden Mittelstandes werden auch Puppenstuben in der Gründerzeit sehr viel häufiger verkauft und eingerichtet.
"Deutsche" Puppenstuben sind ein Export-Schlager.
Neben den vorangegangenen Stilen der deutschen Kulturgeschichte werden auch orientalische Stilelemente übernommen.
So werden durchbrochene Möbelfronten, teilweise als Laubsägearbeit, modern.
Wie schon im Historismus begonnen, verschwinden die Holzrahmen der Sitzmöbel zunehmend unter der Polsterung, die am unteren Rand mit den obligatorischen Fransen enden.
Der oben im Teil "Gesellschaft" beschriebene Stellenwert der Handarbeiten findet seinen Niederschlag in Häkeldeckchen, die auf den kleinen Tischen liegen.
Diese Mode macht auch vor der Puppenküche nicht halt: gestickte Textilien füllen den letzten Rest freier Wände.
Die Küchen sind nur noch selten komplett aus Blech mit fest montierten Möbeln.
Weiterhin aus Blech sind jedoch Küchenmöbel erhältlich.
So haben die Hersteller von Spielzeugeisenbahnen auch Puppenstuben-Einrichtungen im Angebot, beispielsweise Herde und Waschbecken, aber auch Möbel.
Die Herde stehen nicht mehr unter einem Rauchfang, sie sind jetzt mit einem Ofenrohr ausgerüstet,
das in der Wand an einen Kamin angeschlossen scheint oder aber oben mit einer Krone endet.
Da sich der Eisschrank erst um die Jahrhundertwende durchsetzt, sind häufig "Fliegenschränke" in der Küche oder in der Vorratskammer.
Erste Elektroinstallationen mit Lichtschaltern erscheinen in Puppenstuben.
Da diese aber meist oben offen sind, bleiben die meisten Stuben ohne batteriebetriebene Lampen.